Candice Breitz

Whiteface

02.02.–01.04.2023

Künstler*in

  • Candice Breitz

Kurator*in

  • Çağla Ilk

Kuratorische Assistenz

  • Sandeep Sodhi
Mit Whiteface zeigt die Kunsthalle Baden-Baden eine konzentrierte Einzelausstellung der südafrikanischen Künstlerin Candice Breitz. Für die raumgreifenden Installationen wurden zwei filmische und installative Arbeiten aus dem langjährigen Oeuvre der Künstlerin ausgewählt – Whiteface (2022) und Extra (2011) – die Race, Privilegien und asymmetrische Politiken der Repräsentation innerhalb von Kulturen, die von der Ideologie der weißen Vorherrschaft geprägt sind, thematisieren. Die narrative Politik der Filme, der (selbst-) kritische, mitunter satirische Blick der Künstlerin und ihr experimenteller medialer Ansatz verschränken sich mit der kuratorischen Vision der Kunsthalle Baden-Baden, die durch ihr diskursives Programm traditionelle Denkweisen und gesellschaftliche Hierarchien in Frage stellt. Ein Studientag zum Thema Whiteness (dt. Weißsein) soll der Öffentlichkeit eine Diskussionsplattform bieten.

Die gegenwärtige Transformation der (deutschen) Gesellschaft durch öffentliche Diskussionen zu Diversität, Gender und einer transnationalen Politik berührt auch das Selbstverständnis des Weißseins - und damit auch des Deutschseins. Sowohl in Whiteface als auch in Extra spielt Breitz eine Reihe von Figuren, die diesen zeitgenössischen Diskurs in den Medien verkörpern. Ihre Videoinstallationen sind ein Spiegel der Gesellschaft, die durch Anwendung populärer Mechanismen und Bilder das kollektive Mediengedächtnis bedienen.

Über Whiteface

Die titelgebende Installation Whiteface, die in Koproduktion mit dem Museum Folkwang entstanden ist, untersucht die Ästhetik der Repräsentation, die Macht der Sprache und die Krise der Identitätspolitik auf eine Art und Weise, die den/die Betrachter*in zu einer transparenten, offenen und kritischen Auseinandersetzung über das Selbstverständnis des Weißseins, von Race und einer Politik der Diskriminierung führt.

In den vergangenen Jahren hat Breitz ein breites Spektrum an Found-Footage-Fragmenten gesammelt und archiviert, die dokumentieren, wie weiße Menschen über race sprechen. In ihrem Archiv finden sich die Stimmen prominenter politischer Persönlichkeiten, Nachrichtensprecher*innen und Talkshow-Moderator*innen sowie die Stimmen weniger bekannter und anonymer YouTube-Blogger*innen. Dieses Archiv zeigt weiße Perspektiven, die von Neonazi-Ideologien und rechtsextremer Propaganda bis hin zu Alltagsrassismus und dem Auftreten als „gute Weiße“ reichen. Wie eine Bauchrednerpuppe macht sich Breitz Dutzende von Stimmen aus diesem Archiv zu eigen und leitet sie durch ihren eigenen weißen Körper. Nur mit einem weißen Hemd und an Zombies erinnernde Kontaktlinsen bekleidet, beschwört die Künstlerin Weißsein in einer Vielzahl seiner Erscheinungsformen herauf, indem sie beispielsweise im Verlauf der Arbeit eine Reihe billiger blonder Perücken wechselt. Dazwischen zeigt sich die Künstlerin auch mit ihrem eigenen platinblonden Schopf. Dass Breitz inmitten der Figuren, die das Werk besetzen, auch ohne Perücke auftritt, macht ihre eigene Verortung im Weißsein deutlich.

Auch wenn Breitz und viele der körperlosen Stimmen, die sie lippensynchronisiert, in Whiteface wiedererkennbar sind (Tucker Carlson, Rachel Dolezal, Bill Maher, Richard Spencer und Robin DiAngelo haben beispielsweise einen stimmlichen Auftritt), so sind doch nicht in erster Linie bestimmte, einzelne Weiße das Ziel dieser beißenden Satire. Es ist vielmehr die Bedingung des Weißseins, die Breitz ins Licht rücken will.

Neben Whiteface zeigt Breitz sieben Ein-Kanal-Videos aus einem neuen Werk mit dem Titel White Mantras sowie eine Reihe fotografischer Porträts der Figuren aus Whiteface.

Über Extra

Extra wurde am Set von Generations gedreht, Südafrikas beliebtester Soap Opera und, zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Arbeit, die meistgesehene Fernsehsendung auf dem afrikanischen Kontinent. Auf Sendung seit 1994, dem Jahr, in dem Südafrika zur Demokratie wurde, zeichnet Generations vor dem Hintergrund der Medienbranche ein Bild der entstehenden schwarzen Mittelschicht des Landes. Da ein Großteil des Drehbuchs in Nguni-Sprachen (isiZulu, isiXhosa, siSwati, isiNdebele) verfasst ist, passen weiße Südafrikaner*innen, die zumindest gegenwärtig in den seltensten Fällen indigene afrikanische Sprachen sprechen, schlichtweg nicht in diese aufstrebende Gesellschaft. Entsprechend kommt im Cast von Generations keine einzige weiße Figur vor, die für den Plot von Relevanz ist.

Die Dreharbeiten für Extra fanden über einen Zeitraum von zwei Wochen statt. Nachdem die Szenen der Ausstrahlung abgedreht waren, wurde je eine zusätzliche Aufnahme gefilmt – diesmal mit Breitz sichtbar vor der Kamera. Szene für Szene fügte sich die Künstlerin in die sich entfaltende Erzählung ein, mal subtil, mal plump und absurd, immer ohne Erklärung. Das entstandene Filmmaterial stimmt nachdenklich und irritiert zugleich. Mit einer ganzen Reihe von peinlich unbehaglichen visuellen Metaphern, welche allmählich die immer noch sehr stark mit Weißsein verbundenen Privilegien sichtbar machen, bieten Breitz' performative Interventionen eine Grammatik, mit der die Rolle weißer Südafrikaner*innen im Post-Apartheid-Südafrika untersucht wird. Breitz erscheint als eine auffällige weiße Präsenz, die invasiv in einen ansonsten schwarzen Cast eindringt. Das Scheitern dieses bleichen Eindringlings beim Versuch, sich erfolgreich in die fiktive Umgebung zu integrieren, erinnert provokativ an die reale Schwerfälligkeit des weißen Südafrika: In dem Land, das so offensichtlich von weißer Vorherrschaft und Kolonialismus geprägt ist, entscheiden sich viele weiße Südafrikaner*innen immer noch für den vertrauten Komfort getrennter Lebenswelten.

Während ein „Extra“ im Englischen eine Statistenrolle bezeichnet, die nur nebenbei und für eine kurze Zeit auf dem Bildschirm erscheint, kann das Wort „extra“ auch verwendet werden, um ein Element zu beschreiben, das außen vor oder fremd ist, das nicht richtig dazugehört. Breitz' „Extra“ ist weniger eine Rolle als eine Verkörperung weißer Privilegien, eine Figur, die in Selbstabsorption und Selbstgerechtigkeit verstrickt ist und mehr als den ihr zustehenden Anteil an Raum einnimmt. Die unverhältnismäßige Sichtbarkeit dieses stummen weißen Körpers, der auf Kosten der größeren Handlung gierig die Aufmerksamkeit auf sich selbst zieht, spricht für das gewaltsame Beharren, mit dem Weißsein die Vormachtstellung für sich beansprucht. Indem Extra über die diskursiven Vorgänge reflektiert, die Weißsein manifestieren, kehrt es zu Fragen zurück, die in früheren Werken wie der Ghost Series (1994-1996) schon angelegt sind, und kündigt spätere Arbeiten wie TLDR (2017) und Whiteface (2022) an.

In ihrer Aneinanderstellung können die beiden Arbeiten Extra (2011) und Whiteface (2022) als autoethnografische Reisen in das „Herz des Weißseins“ verstanden werden. Gemeinsam verdichten sich die Arbeiten zu einer schonungslosen Studie des Vokabulars und der Grammatik, die dem Weißsein zugrunde liegen. Sie werden zu einer kritischen Untersuchung der Sprache, mit der die Macht des Weißseins begründet, normalisiert und ausgeübt wird.

Die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden widmet den beiden Arbeiten von Candice Breitz alle Ausstellungsräume des Hauses – eine kuratorische Entscheidung, die die weiße Hegemonie der deutschen Gesellschaft sichtbar machen soll. Indem die Arbeiten die ideologischen Bedingungen weltweit zunehmender weißer suprematistischer Gewalt – vom Sturm auf das Kapitol in Washington, über ähnliche Ereignisse in Brasilien bis hin zu Umsturzplänen deutscher Rechtsextremer – herausarbeiten, schaffen sie eine Voraussetzung für weiße Selbstkritik.

Über Candice Breitz

Candice Breitz (geboren 1972 in Johannesburg) lebt als Künstlerin in Berlin. Während ihrer gesamten künstlerischen Laufbahn hat Breitz die Dynamik erforscht, durch die Individuen in Bezug auf eine größere Gemeinschaft geformt werden, sei es die unmittelbare Gemeinschaft der Familie, oder die realen und imaginierten Gemeinschaften, die nicht nur durch Fragen der nationalen Zugehörigkeit, Race, Gender und Religion, sondern auch durch den zunehmend unleugbaren Einfluss von Mainstream-Medien wie Fernsehen, Kino und anderer Populärkultur geprägt werden.

In den letzten zehn Jahren waren Einzelausstellungen von Breitz' Werk in der Tate Liverpool (laufend), im Museum Folkwang, Essen (2022), in der FMAV / Fondazione Modena Arti Visive, Modena (2022), im Contemporary Jewish Museum, San Francisco (2021), Kunstmuseum Bonn (2020), Baltimore Museum of Art (2020), Auckland Art Gallery Toi o Tāmaki, Neuseeland (2020), West Den Haag, Den Haag (2019), FACT / Foundation for Art & Creative Technology, Liverpool (2019), Neuer Berliner Kunstverein (2019), Boston Museum of Fine Arts (2018), Arken Museum of Modern Art, Kopenhagen (2018), Museum Frieder Burda I Salon Berlin (2018), Stavanger Kunstmuseum (2018), Kunstmuseum Stuttgart (2017), Blaffer Art Museum, Houston (2014), Centre d'Art Contemporain Genève (2014), National Gallery of Canada, Ottawa (2013), Void Contemporary Art Space, Derry (2013), South African National Gallery, Cape Town (2012) und ACMI / Australian Centre for the Moving Image, Melbourne (2012),et.al. Im Jahr 2017 vertrat Breitz Südafrika auf der 57. Biennale von Venedig (gemeinsam mit Mohau Modisakeng). Sie hat außerdem an Biennalen/Triennalen in Johannesburg, São Paulo, Istanbul, Taipeh, Gwangju, Tirana, Göteborg, New Orleans, Singapur, Dakar, Melbourne, Cleveland, Sharjah, Aichi, Rabat und Prag teilgenommen.

Begleitprogramm