Auditions for An Unwritten Opera
Rund um die Werke von Mutlu Çerkez
Künstler*innen
- Mutlu Çerkez
- Julian Dashper
- Egemen Demirci
- Léuli Eshrāghi
- Marco Fusinato
- Pedro Gómez-Egaña
- Delia Gonzalez
- Félix González-Torres
- Özlem Günyol & Mustafa Kunt
- On Kawara
- Hanne Lippard
- Callum Morton
- Serkan Özkaya
- Ruth Wolf-Rehfeldt
- Jeff Wall Production
Kurator*in
- Misal Adnan Yıldız
Kuratorische Assistenz
- Arhun Aksakal
Publikation
Die Druckerzeugnisse und andere Ausstellungsmaterialien werden von Matter Of, einem langjährigen Partner der Kunsthalle, als Hommage an das typografische Werk von Mutlu Çerkez gestaltet. Die Recherchen und der Aufbau dieser Ausstellung werden in eine Publikation einfließen, die im Verlag von Hatje Cantz 2024 in Australien erscheint.
Dank an
Serkan Özkayas Neuproduktion wurde durch das Canada Council for the Arts unterstützt.
Die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden ist eine Einrichtung des Landes Baden-Württemberg unter der Trägerschaft des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.
“… I began to title each of my works with a date from the future that would fall during my possible lifetime. I would undertake to repeat each work in some way on its particular date. Every work would reappear at some later point during my life’s work. My work would not evolve, or at least the gradient of its evolution would be flat. It is a system where I can consciously fool myself that all my works are mature works. And working within this system I would, in fact, objectively use my own life’s work as its own subject matter.” Mutlu Çerkez
Vom 14. Juli bis zum 8. Oktober zeigt die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden ein experimentelles Ausstellungsformat: Auditions for An Unwritten Opera stellt erstmals seit 20 Jahren das vielschichtige Schaffen des Künstlers Mutlu Çerkez (1964-2005) in Europa einem breiten Publikum vor. Ausgehend von einer Einzelpräsentation entfaltet sich eine Konstellation von Installationen und Ausstellungsstücken. Ausgewählte Arbeiten von Çerkez treten in Dialog mit zeitgenössischen Praktiken von Künstler*innen wie Juliet Carpenter, Jesse Darling und Hanne Lippard sowie historischen Positionen, etwa On Kawara, Ruth Wolf-Rehfeldt, Felix Gonzalez-Torres und vielen mehr.
Wir leben in einer Zeit, in der Trauer auf Momente der Interaktion in den sozialen Medien reduziert ist - und Politiken des Begehrens und Vergnügungstechnologien unsere Aufmerksamkeit auf den Bildschirm und auf selbstbezogene Stimulationen lenken. Allerdings ist dies kein Ersatz für die wahre Bedeutung geteilter Freude. Durch das Verbinden von emotionaler Intelligenz, kollektivem Unbewussten und konzeptionellem Denken wird die Ausstellung zu einem mentalen Raum zwischen Freude und Trauer.
Mit dieser Ausstellung wollen wir die Werke von Mutlu Çerkez heute wieder in Erinnerung rufen, um zu untersuchen,
- inwieweit ein Künstler*innenleben in der Ausstellungsgeschichte einer Institution reflektiert werden kann;
- wie sich die kontinuierliche Entwicklung eines Werkes mit seinem eigenen work in progress in weiteren Interaktionen mit einer neuen Generationen fortsetzt;
- und nicht zuletzt wie aktuell konzeptionelles Denken mit seiner Solidität, Relevanz und Zeitgemäßheit ist.
Die hier zusammengeführten Formen, das Forschungsmaterial und die künstlerischen Produktionen sollen die Teilnehmenden und die Besucher*innen dazu einladen, gemeinsam Zukunftsszenarien zu entwerfen, zu teilen und einzufordern. Ausgangspunkt der Ausstellung ist daher ein eher unvermuteter Protagonist aus der antipodischen Vergangenheit, an den wir im europäischen Kontext erinnern wollen, den wir noch einmal einführen und wiederentdecken wollen.
Der Ausstellungstitel – auf Deutsch „Vorsprechen für eine ungeschriebene Oper“ – ist einem Schlüsselwerk des in Großbritannien geborenen australisch-türkisch-zypriotischen Künstlers entlehnt, dessen einzigartige Herangehensweise an die Titelgebung eine Inspiration für die gesamte Ausstellung darstellt. Denn oftmals gab er seinen Werken nicht einfach einen “normalen” Titel, sondern einen, der sich auf ein zukünftiges Datum bezog, an dem sie neu erschaffen werden sollten. Damit schlug er für die Werke eine neue Lebensform vor, die sich konzeptionell von ihrer Erzählung, ihrer Produktion oder ihrer Materialität entfernt.
Als Protagonist ist Mutlu Çerkez prädestiniert dafür, einen Raum zum Nachdenken, ein kollektives Atelier und eine erweiterte Bühne zu schaffen, die unsere Beziehungen zur Zukunft ebenso hinterfragen kann wie unsere Verbindungen zum kunsthistorischen Kanon und unsere Positionierung im Hinblick auf fehlende Kapitel in der Kunstgeschichte. In dieser Ausstellung geht es nicht nur um das Erbe eines frühzeitig verstorbenen Künstlers, sondern auch um eine besondere Betonung des Probens, des Work in Progress und des täglichen Übens – auch ohne Schlussfolgerungen oder Resultate.
Auditions for An Unwritten Opera
Wie kein anderes Genre reflektiert die Oper das Nebeneinander von Leben und Tod. Eine unwritten opera – die titelgebende ungeschriebene Oper – lädt als Kunstwerk dazu ein, eine radikale Poetik zeitgenössischer Praxis zu entwickeln. Die Ausstellung greift so eine künstlerische Position wieder auf, die immer wieder nach einer bestimmten Form gefragt hat: nach der ungeschriebenen Oper als konzeptionellem Werk.
Im Rahmen seiner Unwritten Opera widmete sich Mutlu Çerkez zwischen 1992 und 2000 fast ein Jahrzehnt lang Übungen in Form von Studien zu Requisiten- und Make-up-Design und untersuchte verschiedene Plattencover von Bootleg-Aufnahmen der Band Led Zeppelin. Çerkez führte die Praxis der Unwritten Opera weiter, indem er ihre Form und Materialität auf ein Gemälde oder den auch von Jimmy Page verwendeten Marshall-Gitarrenverstärker ausdehnte (Untitled: 14 July 2030, 1999 als „stage furniture/props for an unwritten opera“ gezeigt). Ebenso erweiterte er sie inhaltlich mit Auditions for an Unwritten Opera im Jahr 2000, einer Ausstellung, die aus einer Videodokumentation der Ausstellungseröffnung bestand.
Sein Hauptwerk „A design for the overture curtain of an Unwritten Opera, Untitled: 15 January 2028“ (1999), das im Rahmen der 6. Istanbul Biennale (1999) gezeigt wurde, dient als Schlüsselreferenz für die Dramaturgie und Choreographie der Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, die sich entlang des künstlerischen Schaffens von Mutlu Çerkez entwickelt. Dabei werden die Arbeiten von Çerkez neben denen einer neuen Generation von queeren, kritischen und radikalen Praktiken gezeigt, die Fragen zum Akt des Probens, zum Work in Progress und zum Künstler*innenleben als einer Biografie des Übergangs stellen. Der im Untertitel der Ausstellung verwendete Begriff „around“ (um … herum…) bezieht sich auf ein Umkreisen, Versammeln und Zusammenbleiben.
Partituren, Proben, kognitive Übungen, Noten und andere Formen konzeptionellen Denkens treten als Leitmotiv für das Verständnis eines Künstler*innenlebens und der Lebensspanne eines Kunstwerks auf – insbesondere in den Werken von Antonia Baehr, Delia Gonzalez, Julian Dashper und Marco Fusinato.
Die gemeinsamen Arbeiten von Mutlu Çerkez mit Marco Fusinato und Callum Morton sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. Eine neue Filmarbeit von Juliet Carpenter, die auf der Shortlist für den Walters Prize 2024 steht, sowie eine der jüngsten Arbeiten des für den Turner Prize 2023 nominierten Jesse Darling beschäftigen sich mit Formen der Reinkarnation, der Reproduktion, der Regeneration und des Erinnerns innerhalb der Grenzen des menschlichen Gedächtnisses und des Vergessens. Diese Themen werden weiter vertieft und in den Arbeiten von der mit dem Preis der Nationalgalerie 2023 ausgezeichneten Hanne Lippard sowie Ruth Wolf-Rehfeldt, die 2022 mit dem Hannah-Höch-Preis ausgezeichnet wurde räumlich in einen konzeptionellen Dialog gesetzt.
Ausgewählte Werke von Pedro Gómez-Egaña und Serkan Özkaya, die mit ortsspezifischen Parametern und neuen museologischen Fragestellungen an den Ausstellungsraum der Kunsthalle angepasst wurden, schaffen räumliche Verbindungen in der Narration der Ausstellung unter Berücksichtigung unseres Blicks, der menschlichen Anatomie und der dynamischen Beziehungen zwischen dem menschlichen Körper und der Institution.
Anlässlich des zehnten Jahrestages der Gezi-Proteste in der Türkei werden zwei Werke von Özlem Günyol & Mustafa Kunt gezeigt, deren Assoziationen zur Transformation des öffentlichen Raums anregend für das Verständnis des Zeitgeistes der 2000er im Gegensatz zu dem der 1990er Jahre sind. Dies kommt beispielsweise in der Veränderung der Umgangssprache - vor dem Internet - oder in der Singularität eines politischen Subjekts zum Ausdruck, wobei hier im Zusammenspiel mit den Arbeiten von Mutlu Çerkez eine erweiterte Poesie entsteht.
Egemen Demirci, der zwei Jahre lang als „Hauskünstler“ mit der Kunsthalle Baden-Baden zusammengearbeitet hat – eine Position, die geschaffen wurde, um Künstler*innen mit einem festen Arbeitsverhältnis in den institutionellen Rahmen einzugliedern – greift mit Spectator on White eine Arbeit von 2012 wieder auf. In dieser Videoarbeit gehen Ausstellungsbesucher*innen durch imaginäre Kunstwerke, die aus ihrer Erinnerung abgerufen werden und für die Betrachter*innen des Videos unsichtbar sind. Die Neuinszenierung dieses Werkes in der denkmalgeschützten, neoklassizistischen Architektur der Kunsthalle als staatlicher Kunstinstitution, und in der Stadt der Festspiele, des Kurhauses und des Friedrichsbades stellt eine starke Verbindung zu Mutlu Çerkez' ungeschriebener Oper her, vielleicht sogar das fehlende Libretto.
Als koproduzierte Auftragsarbeit der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, dem Museum of Contemporary Art, Warrane/Sydney, und der Plimsoll Gallery, University of Tasmania, Nipaluna/Hobart, präsentiert Léuli Eshrāghi seine neue Zweikanal-Videoarbeit afiaf, die sich durch ihre queeren und inidigenen poetischen Handlungen mit den DNA-Strukturen der Gemälde von Mutlu Çerkez verbindet.
Auditions for an Unwritten Opera wird ermöglicht durch Leihgaben des Monash University Museum of Art | MUMA, der Felix Gonzalez-Torres Foundation, der Staatsgalerie Stuttgart, des Griffith University Art Museum, der Anna Schwartz Gallery, Melbourne, PALAS (Australien), der Michael Lett Gallery (Auckland), der Sultana Gallery (Paris) Paris, Zilberman Gallery (Istanbul/Berlin) und ChertLüdde (Berlin) sowie von Hot Wheels Athens.
In ausführlichem fachlichen Austausch mit Charlotte Day, Marco Fusinato, Callum Morton und anderen Kollegen von Mutlu Çerkez, sowie mit Pierre Bal Blanc, Florian Lüdde und Andrew Kachel, werden durch die Präsentation von Werken von On Kawara, Jeff Wall Production, Ruth Wolf-Rehfeldt, Felix Gonzalez-Torres und anderen weitere kunsthistorische Verbindungslinien zu dem Erbe von Mutlu Çerkez offengelegt.
Kuratiert von Misal Adnan Yıldız
Begleitprogramm
Auditions for An Unwritten Opera
Rund um die Werke von Mutlu Çerkez
Spectral Arrows
Durational Performance von Marco Fusinato
The Last Question
Performance von Pedro Gómez-Egaña
Tontanz
Performance von Antonia Baehr & Jule Flierl
Afiaf left - Afiaf right
Performance von Léuli Eshrāghi
In Remembrance
Performance von Delia Gonzalez