- Symposium
Les Anonymes / The anonymous / Die Anonymen / Sine nomine / Ανώνυμος - Tag 2
Ein Wochenende über Anonymität, Unsichtbarkeit und Öffentlichkeit
Termine
- Sa 03.02., 14:00–17:00
Künstler*innen
- Mustafa Emin Büyükcoşkun
- Hou Hanru
- Ruth Noack
- Slavs and Tatars
Sprache
- Englisch
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Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Eintritt
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Als wäre es ein griechisches Symposion...
"Was die Zivilisation dem Körper der Frau angetan hat, unterscheidet sich nicht von dem, was sie der Erde, den Kindern, den Kranken, dem Proletariat angetan hat, kurz, von allem, was nicht "sprechen" soll, und ganz allgemein von allem, was die Wissensmächte der Regierung und des Managements nicht hören wollen, und was daher zum Ausschluss von jeder anerkannten Tätigkeit, zur Rolle eines Zeugen verbannt wird."
*Tiqqun, Preliminary Materials for a Theory of the Young Girl
Am 2. und 3. Februar 2024 kommen in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden die international renommierten Künstler*innen und Kurator*innen Mustafa Emin Büyükcoşkun, Hou Hanru, Ruth Noack und Slavs and Tatars zusammen, um über die verschiedenen Formen, Begriffe und Bezüge von "Anonymität" nachzudenken. Das Symposium "Les Anonymes / The anonymous / Die Anonymen / Sine nomine / Ανώνυμος" findet in englischer Sprache statt.
Ein Symposium war im antiken Griechenland ein gesellschaftliches Treffen, bei dem die Menschen zusammenkamen, um zu essen, zu trinken und sich in Kreisen der Akademie, des Parlaments und der Freundschaft zu engagieren. Der Austausch von Ideen und die Beteiligung an lebhaften Debatten war für Bürger*innen von entscheidender Bedeutung. Das gemeinsame Essen und Trinken in diesem Rahmen wurde als Möglichkeit angesehen, ein Gefühl der Gemeinschaft zu fördern und eine gesellige Atmosphäre zu schaffen, die offene Diskussionen und Debatten begünstigte. Ausgehend von einer existierenden Arbeit des Künstlers Sarkis, die als Teil seiner aktuellen Ausstellung 7 Tage, 7 Nächte in der Kunsthalle Baden-Baden gezeigt wird, und in Anlehnung an ihren Titel, schlagen wir vor, Ideen, Gedanken und Gespräche rund um diesen Begriff zu üben: "Anonym" bezieht sich auf etwas Unbekanntes oder Unbenanntes. Wird er zur Beschreibung einer Person verwendet, bedeutet er die Nicht-Enthüllung oder -Veröffentlichung der Identität der Person. In Online-Kontexten bezieht sich der Begriff oft auf jemanden, der Inhalte beiträgt, ohne seinen echten Namen oder persönliche Details preiszugeben. Anonyme Beiträge sind in Online-Foren, Message Boards und Websites üblich, wo Menschen Informationen austauschen oder ihre Meinung äußern können, ohne ihre Identität preiszugeben.
Kuratiert durch den Direktor der Kunsthalle, Misal Adnan Yıldız, der dieses Wochenende als Widmung an Sarkis' vielschichtige Praxis konzipiert hat, möchte diese Einladung über die zeitgenössische Rolle von Institutionen in einer stark polarisierten Öffentlichkeit nachdenken, in der Anonymität eher als Widerstand gegen digitale Kontrolle, Grenzpolitik und Techniken der Kriminalisierung gesehen wird, denn als Recht auf kollektive Existenz und die Definition von Autorschaft.
Um weitere Gespräche anzustoßen, erhielten alle Redner ein Zitat von Tiqqun, einem Kollektiv aus Paris, das von 1999 bis 2001 in zwei Ausgaben philosophische Zeitschriften produzierte, als Einladung. Nach der Keynote von Ruth Noack, einer der künstlerischen Leiterinnen der documenta 12, finden drei Sitzungen mit erweiterten Gesprächen statt, die sich auf einschlägige spezifische Projekte konzentrieren und dabei Bezüge zur Istanbul Biennale, Saturday Mothers und anderen herstellen.
Das Symposium findet in Englischer Sprache statt. Den Auftakt bildet die Keynote von Ruth Noack am Freitag Abend um 19 Uhr. Am Samstag, den 3. Februar, von 14 bis 17 Uhr, führen die Künstler und Kuratoren Mustafa Emin Büyükcoşkun, Hou Hanru und Slavs and Tatars Gespräche in der Ausstellung.
14 Uhr - Praxis
Slavs and Tatars: Service Industry
(Dauer ca. 40 min mit Diskussion)
Serviert mit Früchten
"Mysterien sind von Natur aus esoterisch und als solche ein Verstoß gegen die Demokratie: Ist Öffentlichkeit nicht ein demokratisches Prinzip?" - Norman O. Brown
Unsere Sprachen lassen uns im Stich, wenn sie nicht verschiedene Zwischenstationen zwischen Anonymität und Offenheit anbieten. Wie halten wir es mit dem Privaten, dem Vertraulichen oder dem Abgeschiedenen? Was wäre, wenn die Anonymität anstelle von Privatsphäre und Persönlichem an Zugänglichkeit gewinnen und an Subjektivität verlieren würde? Das heißt, nicht das Persönliche oder man selbst, sondern vielmehr das schwer fassbare Wir selbst wurde durch die Anonymität gewonnen.
Von région d’être bis hin zu ihren jüngsten Arbeiten wie Aşbildung (2021, KH Osnabrück und Portikus, Frankfurt) hat das Kollektiv Kollektivität, Partizipation und in jüngster Zeit die Dienstleistungsindustrie als Mittel zur Rückgewinnung nicht so sehr der Anonymität, sondern vielmehr der Ablenkung unseres kollektiven menschlichen Faibles für das Persönliche, das Individuelle, eingesetzt. Unter anderem erörtert das Kollektiv die relativen Stärken von Früchten und Flora gegenüber der Fauna, wenn es um Fragen der Autorenschaft geht. Wie können wir unsere Welt und unser Universum schreiben, ohne uns auf die anthropomorphe Navigation zu verlassen?
Slavs and Tatars ist ein international renommiertes Kunstkollektiv, das sich mit einem Gebiet östlich der ehemaligen Berliner Mauer und westlich der Chinesischen Mauer beschäftigt, das als Eurasien bekannt ist. Seit seiner Gründung im Jahr 2006 hat das Kollektiv ein feines Gespür für polemische Themen in der Gesellschaft bewiesen und durch eine ganz eigene Form der Wissensproduktion neue Wege für den zeitgenössischen Diskurs geebnet: unter Einbeziehung von Populärkultur, spirituellen und esoterischen Traditionen, mündlichen Überlieferungen, modernen Mythen sowie wissenschaftlicher Forschung.
Ihre Arbeiten waren Gegenstand von Einzelausstellungen in Institutionen auf der ganzen Welt, darunter die Wiener Secession, das MoMA, New York, Salt, Istanbul, das Albertinum Dresden und viele andere. Die Praxis des Kollektivs basiert auf drei Aktivitäten: Ausstellungen, Publikationen und Lecture-Performances. Das Kollektiv hat bis heute mehr als zwölf Bücher veröffentlicht, darunter zuletzt Лук Бук (Look Book) im Distanz Verlag. Im Jahr 2020 eröffneten Slavs and Tatars die Pickle Bar, eine slawische Aperitivo-Bar mit Projektraum, nur wenige Türen von ihrem Studio entfernt im Berliner Stadtteil Moabit.
15 Uhr - Memento
Mustafa Emin Büyükcoşkun: Saturday Mothers
(Dauer ca. 40min mit Diskussion)
Serviert nur mit Wasser
Mustafa Emin Büyükkcoşkuns Fotoinstallation Repetition (2015 - laufendes Projekt) dreht sich um die samstäglichen Mütter-/Volkssitzungen, die seit dem 27. Mai 1995 auf dem Galatasaray-Platz stattfanden und nach der 700. Versammlung am 25. August 2018 verboten wurden.
Seit 2016 lebt und arbeitet Mustafa Emin Büyükcoşkun in Karlsruhe und beschäftigt sich verstärkt mit medienarchäologischen Aspekten von bewegten Bildern und verschiedenen Archivierungspraktiken. Zusammen mit Rayna Teneva entwickelte er das Projekt Images From Past Future, das sich mit dem Filmarchiv des ehemaligen Kernforschungszentrums in Karlsruhe beschäftigt. Sein letztes Projekt, das Oral History, visuelle Erinnerung und den Dokumentarfilm To Go umfasst, handelt von der Reise einer Gruppe Jugendlicher, die von der Ost- in die Westtürkei reisen, um der Stadt Kobane beim Wiederaufbau zu helfen, wo sie bei einem ISIS-Selbstmordattentat ihr Leben verlieren. Derzeit entwickelt Mustafa zusammen mit Semih Gülen seinen Debütfilm, der die Geschichte einer Sportlerin erzählt, die eine unorthodoxe Dopingmethode anwendet, an der Schnittstelle zwischen Fiktion und Dokumentarfilm.
16 Uhr - Agora
Hou Hanru: Daziboa
(Dauer ca. 60 min)
Serviert mit Nüssen
Ausgewählte Bilder aus Hou Hanru's Ausstellungsgeschichte mit Anonymität, von Daziboa - einem mobilen Videoprojekt, das in Paris für die Nuit Blanche 2004 initiiert und auf der Istanbul Biennale 2007 entwickelt wurde, bis zum Ataturk Culture Center, AKM, basieren auf dem Dilemma zwischen verschiedenen Methoden des Ausstellungsmachens und der Autorenschaft. Wie Hou Hanru in einem von mehreren Essays hervorhebt, bezieht sich Dazibao auf Plakate mit großen Buchstaben, die von der Arbeiterklasse während der Kulturrevolution gegen Chinas Elite gedruckt wurden. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der zu Maos Zeiten verwendeten Dazibao-Rhetorik, ihrer romanisierten Aneignung im Westen und ihrer Anwendung auf die von ihm 2007 kuratierte Ausgabe der Istanbul Biennale besteht jedoch darin, dass die Ironie unweigerlich in den Verlauf der historischen Wiederholung eingreift. Die politisierten Kritiken, die von zeitgenössischen Künstlern während dieser Biennale ernsthaft wiederholt wurden, um die Kunst an die "Nicht-Kunst"-Stätten in der Stadt zu bringen, schienen daher seltsam unpassend zu den hyper-mediatisierten Bildern, die sie zu widerrufen versuchten, und warfen neue Fragen über die Spannung zwischen Kunst und öffentlichem Raum heute auf.
Hou Hanru ist ein Schriftsteller und Kurator mit Sitz in Paris und Rom. Er war künstlerischer Leiter des MAXXI (Nationalmuseum für die Kunst des 21. Jahrhunderts und Nationalmuseum für Architektur) in Rom (2013-2022). Hou Hanru hat in den letzten drei Jahrzehnten weltweit über 100 Ausstellungen kuratiert und co-kuratiert. Seit Anfang der 1990er Jahre arbeitet er eng mit Sarkis zusammen, vor allem in Paris, London, Shanghai, San Francisco, Istanbul und Rom, wo er unter anderem Kurator der Istanbul Biennale 2007 war. Er ist Berater für zahlreiche Kultureinrichtungen, darunter das Times Museum, Guangzhou, das Rockbund Art Museum, Shanghai, und das Solomon Guggenheim Museum, New York. Er schreibt regelmäßig für verschiedene Zeitschriften über zeitgenössische Kunst und Kultur und hält Vorträge und unterrichtet in zahlreichen internationalen Institutionen. Zu seinen Büchern gehören "A Story for the Future, the first decade of MAXXI" (MAXXI, Quodlibet, 2021), "Hou Hanru", (Utopia@ Asialink, und School of Culture and Communication, University of Melbourne, 2014), "On the Mid-Ground" (englische Version veröffentlicht 2002, von Timezone 8, Hongkong, und chinesische Version, veröffentlicht 2013 bei Gold Wall Press, Peking), "Curatorial Challenges" (Gespräche zwischen Hou Hanru und Hans-Ulrich Obrist, in "Art-it magazine" als "curators on the move", Japan, 2006-2012, chinesische Version, Gold Wall Press, Peking, 2013).