Um das Hotel als halböffentlicher Ort ranken sich zahlreiche Mythen. Es ist Spiegel für Sehnsuchtsmotive und Schauplatz intimster wie staatstragender Ereignisse. In den letzten zweihundert Jahren entwickelte sich der Topos Hotel zudem immer mehr zu einem künstlerischen Sujet. Dabei setzen sich Künstler nicht nur motivisch mit dem Hotel auseinander, sondern sie machen sich auch dessen Räume zu eigen, gestalten und bewohnen sie. Mit der Großen Landesausstellung Baden-Württemberg spürt die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden diesen vielfältigen Verflechtungen über die Zeiten hinweg nach. Dabei werden auch die sozialen Kehrseiten dieses Phänomens in den Blick genommen.
Um den Mythos Hotel auch vor Ort einzufangen, wird die Ausstellung Room Service – Vom Hotel in der Kunst und Künstlern im Hotel in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zusätzlich von einem Kunstparcours durch namhafte Hotels der Stadt flankiert. Zahlreiche Künstler zeigen Arbeiten in Hotelzimmern, Lobbys oder Parkgaragen und entwickeln diese teilweise speziell für dieses Projekt.
Historische Ausstellung
Die Ausstellung in den Räumen der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zeichnet die historische Entwicklung seit den Anfängen einer neuen Reisekultur im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart nach. Die früheste Arbeit aus dem Jahr 1824 stammt von dem britischen Künstler John Constable und zeigt eine Strandszene mit Fischerboot und den ersten Grand Hotels im englischen Brighton im Hintergrund. Der Künstler Joseph Mallord William Turner griff auf seinen Reisen das Interieur von Hotelzimmern sowie den Ausblick aus dem Hotel als wiederkehrendes Motiv auf. Max Beckmann war fasziniert von den verschiedenen Realitäten und Perspektiven, die im Hotel zusammenlaufen. Sein Zeitgenosse George Grosz konzentrierte sich in seiner Malerei wiederum auf die Protagonisten der großstädtischen Halbwelt, die er vor der Kulisse pulsierender Hotels verortete. Mit seinen ikonischen Porträts schuf der Fotograf August Sander ein epochales Panorama der deutschen Gesellschaft seiner Zeit – hier findet sich der Hoteldirektor neben dem Zimmermädchen und dem Gepäckträger. Der vielgereiste Künstler Martin Kippenberger erhob schließlich Zeichnungen auf Hotelpapier zu seinem Markenzeichen und erfand damit eine Art fi ktive Autogeographie. Für ihre Arbeit »L’Hôtel« schlüpfte die französische Künstlerin Sophie Calle selbst in die Rolle eines Zimmermädchens und spionierte für drei Wochen die Gäste eines venezianischen Hotels aus.
Kunstparcours durch sechs Hotels
Im Rahmen des Kunstparcours durch Baden-Badener Hotels werden zahlreiche ortsspezifische und performative Werke präsentiert. In einem Zimmer des Hotel Steigenberger Europäischer Hof bietet die Performerin Ann Liv Young kostenfrei therapeutische Behandlungen der besonderen Art an: In ihrer Rolle als US-Südstaatlerin Sherry verabreicht sie halbstündige »Sherapy«-Sitzungen für Einzelpersonen, Paare oder Haustiere (mehr). Auf einem Audiowalk der Medienkunst- und Performancegruppe LIGNA kann der Besucher die verschlungenen Hotelflure durchstreifen auf Spurensuche nach den Geschichten, die das Haus erzählt. Darüber hinaus knüpft der renommierte Kurator Hans Ulrich Obrist an seine legendäre Hotelausstellung aus dem Jahre 1993 an, bei der er in seinem 12m2-Zimmer eine unangekündigte Ausstellung mit 70 namhaften Künstlern einrichtete. Für die Neuauflage in Baden-Baden sind Künstler wie Tracey Emin, Rosemarie Trockel und Franz Erhard Walther eingeladen.
Im Hotel Belle Epoque kommentiert Andy Warhols Experimentalfi lm »The Chelsea Girls« das berühmt-berüchtigte New Yorker Chelsea Hotel, in dem die künstlerische Bohème der sechziger und siebziger Jahre lebte, arbeitete und ausstellte. Eine Auswahl aus der Kunstsammlung des Hotels Castell in Zuoz gastiert im Atlantic Parkhotel. Im Kaminzimmer spiegeln eine Bibliothek und Filmlounge die umfangreiche Rezeption des Themas Hotel wider. Klopfen Sie hier an eine bestimmte Zimmertür, begegnen Sie einem redseligen Zeitgenossen, der einer Idee des Künstlers Christian Andersson entsprungen ist.
Room Service – Highlights
Die US-amerikanische Künstlerin Cindy Sherman zeigt im Brenners Park-Hotel & Spa eine Milieustudie jener, die um jugendliche Schönheit und gesellschaftlichen Status ringen. Daneben besteht auch die einzigartige Möglichkeit in von Künstlern bespielten Zimmern zu übernachten. So lädt der Aktionskünstler Christian Jankowski als Artist in Residence im Brenners in den kleinen Entscheidungsraum ein. Dieser fordert vom Gast eine persönliche Auswahl: Das nackte weiße Zimmer kann jegliche Form vom einfachsten Standard bis zu prächtigster Opulenz annehmen. Eine Übernachtung beinhaltet auch eine Künstleredition (mehr). Der Künstler Naneci Yurdagül macht mit seiner performativen Installation »Brenners Eine-Stunde-Hotel & Service Total« die Serviceerfahrung des Fünfsternehotels komprimiert auf 60 Minuten zugänglich; diese kann jeder für den Preis von ½4 einer Übernachtung in seinem Doppelzimmer buchen und erleben (mehr). Im Rathausglöckel richten die selbst in einem Landgasthof aufgewachsene Künstlerin Gabriela Oberkofler sowie der aus Hong Kong stammende Lee Kit jeweils ein Zimmer als begehbare Kunstwerke ein, in denen ebenfalls Gäste übernachten können und damit auch ein Souvenir erwerben (mehr). Alle Zimmer können während der Parcours-Öffnungszeiten besucht werden, sofern sie nicht belegt sind. Im Radisson Blu Badischer Hof wird das Theater Baden-Baden an mehreren Abenden Einzug halten und die Besucher mit einer Inszenierung nach Vorlage von Markus Orths »Das Zimmermädchen« über Heimlichkeiten hinter den Zimmertüren aufklären sowie infl ationäre Wellnessstrategien bei einem Barbesuch mit »Max im Hotel« debattieren. Zum Ausklang der Ausstellung präsentiert Byung Chul Kim mit seinem Performance Hotel eine unkonventionelle Möglichkeit der Herbergskultur: Statt mit Geld kann man seine Übernachtung mit einer Performance bezahlen. Täglich ab 18 Uhr werden die Performances einem interessierten Publikum dargeboten (mehr).
Teilnehmende KünstlerInnen: Michael Ancher, Christian Andersson, Diane Arbus, Max Beckmann, Guy Ben-Ner, Oscar Björck, Jenny Brillhart, Sophie Calle, Henri Cartier-Bresson, Auguste Chabaud, John Constable, Honoré Daumier, Thomas Demand, Simone Demandt, DIS, William Eggleston, Tracey Emin, Hans-Peter Feldmann, Fischli / Weiss, Francis Frith, George Grosz, Andreas Gursky, Eberhard Havekost, Georg Hering, Candida Höfer, Hanns Hubmann, Irène Hug, DAS INSTITUT, Christian Jankowski, Sven Johne, On Kawara, K-Hole, Byung Chul Kim, Lee Kit, Martin Kippenberger, Otto Albert Koch, Peder Severin Krøyer, Christian Krohg, Pierre Leguillon, Ligna, Armin Linke und Elina Axioti, Sarah Lucas, Tobias Madison, Johan Marinus Mari ten Kate, Adolph Menzel, Hans Meyboden, Chantal Michel, Olaf Nicolai, Gabriela Oberkofler, Gabriel Orozco, Paul Riess, Reiner Ruthenbeck, August Sander, Markus Schinwald, Laurits Schmidt-Nielsen, Valdemar Schønheyder Møller, Cindy Sherman, Thomas Schütte, Paul Signac, Roman Signer, Florian Slotawa, Chaïm Soutine, Daniel Spoerri, George Stephenson, William Henry Fox Talbot, Guy Tillim, Ryan Trecartin, Rosemarie Trockel, Joseph Mallord William Turner, Laurits Tuxen, Amalia Ulman, Ian Wallace, Franz Erhard Walther, Andy Warhol, Carl Windels, Ann Liv Young, Naneci Yurdagül, Xu Zhen, sowie Hans Ulrich Obrist mit einer Neuaflage seines Projekts »Hotel Carlton Palace: Chambre 763« von 1993.