„Aus der Ferne so nah“ stellt vier in Istanbul lebende Künstlerinnen aus zwei Generationen vor, deren bewußt einfach gehaltene Kompositionen eine Ambivalenz zwischen poetischer Fragilität und deren ständiger Bedrohung kennzeichnet. Die Ausstellung zeigt eine raumgreifende, doch nahezu schwerelose Installation von Füsun Onur und Videoarbeiten von Selda Asal, Elif Çelebi und Günes Savas. Die Werke, so unterschiedlich sie sich im Einzelnen auch darstellen, verbindet eine genau kalkulierte, alles Vordergründige oder Artifizielle vermeidende Bildsprache, die ihren Ausgangspunkt in der sensiblen Betrachtung von alltäglichen Dingen und Situationen hat.
Die Ausstellung wird durch die Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg ermöglicht. Sie ist Teil des Rahmenprogramms zur Ausstellung „Troja – Traum und Wirklichkeit“, die vom 17. März bis 17. Juni 2001 im Forum Landesbank Baden-Württemberg in Stuttgart stattfindet und anschließend im Herzog-Anton-Ulrich-Museum Braunschweig und in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu sehen sein wird. Kuratorin: Dr. Margrit Brehm
Künstlerinnen – Positionen
Die Ausstellung „Aus der Ferne so nah“ präsentiert erstmals die Werke von Selda Asal, Elif Celebi und Günes Savas in Deutschland. In der Zusammenschau der Videos der jungen und jüngsten Künstlerinnengeneration mit der Installation von Füsun Onur und der im Katalog gebotenen monografischen Aufarbeitung der Werkentwicklung dieser (nicht nur) für die türkische Kunstszene bedeutsamen Künstlerin, bietet das Projekt ein Forum, Fragen nach nationaler oder geschlechtsspezifischer künstlerischer Identität neu zu diskutieren. Mit der Wahl dieser Positionen gibt die Ausstellung der Nahaufnahme den Vorzug gegenüber der Übersicht und dem subjektiven Zugriff den Vorzug gegenüber dem modischen Trend.Es sind ungewöhnliche und herausfordernde Werke, denen es inmitten der uns umgebenden Bilderflut gelingt, den Blick festzuhalten und Nähe wirkmächtig herzustellen.
Füsun Onur
Ausgangspunkt und Zentrum der Ausstellung ist die Installation „Opus II – Phantasia“, die Füsun Onur für die Räume der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden konzipiert hat und mit der sie ihre seit fünf Jahren entwickelte Serie von musikalischen Kunstwerken fortsetzt. Die Künstlerin selbst beschreibt diese Transformationen von unsichtbarer Musik in unhörbare räumliche Bezugssysteme als Ausdruck der Synästhesie, die unsere sinnliche Wahrnehmung bestimmt: „Wenn ich Musik höre, kann ich sie fast berühren. Ich fühle ihre Weichheit oder Härte, sehe ihre Farbe. Ich nehme den Raum wahr, den die Musik schafft.“ Das Inventar ihrer Raum-Partituren findet Onur auf der Straße, im Bazar oder in den Kunsträumen selbst. So wählte sie etwa für die Ausstellung „Prelude“ (2000) in der Mudo Maçka Sanat Galerisi in Istanbul Legosteine, Hämmer, Tüll und Tische, um ihren Grenzgang zwischen der mathematischen Präzision kompositorischer Grundstrukturen und der Ungreifbarkeit sinnlicher Wahrnehmung zu realisieren. Das Beharren auf der Bedeutsamkeit der individuellen Erfahrung und die Verwendung von Alltagsmaterialien und Fundstücken kennzeichnen die Objekte und Environments Füsun Onurs von Beginn der 70er Jahre an. Seit damals erstellt die 1938 in Istanbul geborene Künstlerin konsequent das fragile, oft vergängliche Mobiliar ihrer privaten Mythologie. Glasscheiben, Wollfäden, Tüllgespinste, hölzerne Gerüste, Kleider, Stühle, Kisten und Bälle sind die Stoffe, aus denen sie ihre ephemeren Objekte und Empfindungsräume von spröder Poesie baut. Die Entwicklung dieses komplexen Oeuvres wird der Katalog zur Ausstellung anhand zahlreicher bisher unveröffentlichter Fotografien dokumentieren und damit erstmals einen Überblick über das Schaffen dieser ungewöhnlichen Künstlerin ermöglichen.
Elif Çelebi
Formale Reduktion und die Konzentration auf das Alltägliche, das plötzlich zeichenhaft erscheint, kennzeichnen auch die mit einer Standkamera gefilmten Videos von Elif Çelebi. Die 1973 geborene Künstlerin, die in ihren kleinen, subversiven Objekten wohl die größte Affinität zu Füsun Onur aufweist, zeigt Sequenzen von faszinierender Einfachheit. Ein Glas halbvoll mit gelber Limonade, ein bisschen Grün im Hintergrund, in dem wir Bäume vermuten – fast wie eine klare, abstrakte Komposition wirkt das Bild auf dem Monitor, wären da nicht die Wespen, die sich voller Begehren ins tödlich-süße Naß stürzen, gegen den Tod ankämpfen, ertrinken: „Desire“. Das Video fasziniert durch die Ambivalenz zwischen der Vertrautheit der Szene und der plötzlichen Erkenntnis der parabelhaften Bedeutsamkeit des Gezeigten.
Selda Asal
Die Videoprojektion „House of Glass“ von Selda Asal (geboren 1960 in Izmir) zieht uns durch den Konflikt zwischen Sehen und Nichtsehenwollen in ihren Bann. Auch hier werden wir Zeuge des Versuchs, dem Eingeschlossensein zu entrinnen, aber dieses Mal ist es eine Frau, die hinter einer Glasscheibe gefangen scheint. Statt metaphorischer Umschreibung, gesellschaftliche Realität. Auch wenn offen bleibt, ob die klaustrophobische Szene einen inneren Kampf oder eine reale Gefangenschaft meint, so schmälerte das die Provokation nicht, als die Künstlerin das Video als Rückprojektion auf einem Fenster des Yapi Kredi Cultural Center an einem großen Platz in Istanbul zeigte. Sie durchbarch damit nicht nur die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Raum, sondern machte das allzugern Verdrängte weithin sichtbar.
Günes Savas
Bereits in ihren ersten Videoarbeiten hat Günes Savas dem Mikrokosmos Stadt, dem Leben in Istanbul die Hauptrolle zugeteilt. Für „The Corner“ richtete die 1975 geborene Künstlerin den Sucher ihrer Videokamera auf einen Toreingang an einer belebten Straße und filmte die scheinbar unendliche Bewegung des alltäglichen Lebens: Im Zeitraffer eilen die Passanten vorbei, bleiben stehen, die Müllsäcke werden hingestellt und verschwinden wieder, ein Kind verbirgt sich hinter dem Mauervorsprung, ein alter Mann nimmt auf einem Klappstuhl Platz. In „I woke up, looked around in my room and a cold sweat broke out“, dem Beitrag Savas zur 6. Istanbul Biennale 1999, schickte eine „traumwandelnde“ Frau durch die Straßen und Gebäude Istanbuls.